Canto Migrando *
Den ersten 16 Takten liegt der arabische Rhythmus Malfouf zugrunde. Die darauf folgende Passage ist sowohl tonal als auch rhythmisch eher mitteleuropäisch und „klassisch“ geprägt. Nach der Reprise des ersten Teils folgen die Breaks des Schlussteils, die in zwei Abschnitte unterteilt sind und die große Percussion des traditionellen westlichen Symphonieorchesters mit der arabischen Instrumentalisierung vereinen. Als weitere rhythmische Inspirationen werden im gesamten Stück die arabischen Trommelfiguren Ayoub, Beledi, Wehda, Romba (abgeleitet von der afrocubanischen „Rumba“) integriert.
Chronologie Aufführungen „Canto Migrando“
Die Canto Migrando Story – Sie lebt und atmet…
Die Gegend unmittelbar um die Landwehrstraße am Münchener Hauptbahnhof, in der ich seit 1973 lebe, hat sich in den letzten zwölf Jahren entscheidend verändert und ist zu einem orientalischen Quartier geworden. Unter meiner Wohnung befindet sich seit langer Zeit ein griechisches Lokal, in dem immer wieder Araber zum Feiern – und auch zum Trommeln – zusammen gekommen sind.
Diese Rhythmen drangen nach oben in meine Wohnung. Mit Rhythmus hatte ich mich mein ganzes Musikerleben beschäftigt, und so interessierte ich mich auch für diese “Grooves³. Ich begann 2001 mit Noten-Skizzen zu einem orientalisch orientierten Musikstück, und mir war sofort klar, es müssten Streichinstrumente und die im Orient verbreiteten Hand-Trommeln, die Daraboukas, vorkommen. Mit dem Wintersemester 2001 nahm ich meine Lehrtätigkeit an der Hochschule für Musik und Theater in München auf und begann dort mein Jazz- und Improvisations-Projekt für Streicher. Bereits zehn Monate später hatte ich ein kleines Stringensemble soweit ausbilden können, dass sich die Mitwirkenden sehr deutlich in spezieller Intonation und rhythmischer Phrasierung von den meisten Mitgliedern der großen weltbekannten Streichorchester, mit denen ich bis dahin gearbeitet hatte, unterschieden sie spielten die von mir komponierte Musik swingend und authentisch.
Ich brachte dazu die Rhythmusgruppe meines Jazzquartetts ein (Micha Blam aus Belgrad/Tel Aviv, Imre Köszegi aus Budapest, Edgar Wilson aus Mosambik). Bei der ersten Probe in der Hochschule für Musik & Theater stießen dann noch drei tunesische Darabouka-Spieler aus der Landwehrstraße hinzu, die mir bereits in der ersten Pause erklärten, dass sie mir bessere Musiker empfehlen könnten. Bei der nächsten Probe kamen also zwei bessere, und die erklärten mir wiederum, es gäbe einen wirklich guten Percussionisten aus Tunesien, der in München wohne und den würde ich brauchen.
Also kam beim nächsten Mal Karem Mahmoud dazu, und er spielte so überzeugend und virtuos, dass er bis heute ein sehr wichtiger Pfeiler von “Canto Migrando³ ist. Ebenfalls von anderen Musikern wurde mir der Kontakt zum türkisch-stämmigen Oudh-Virtuosen (arabische Laute) Seref Dalyanoglou vermittelt, der kurze Zeit später zur Formation stieß und ebenso wie Karem ein sehr wichtiger Partner wurde.
Mit der Zeit erweiterte ich die Besetzung zum großen Orchester, bemühte mich um die besten Bläser, schrieb Parts für Orchesterpercussion (Pauken etc.), fügte einen Chor ein, und bei der Uraufführung der großen Version in der Hochschule für Musik und Theater München (dirigiert von meinem Freund und Kollegen Ulrich Nicolai) waren es schon 60 Mitwirkende, die das Publikum begeisterten. Jeder versuchte da, sein Bestes zu geben, und vor allem die versierten Jazzmusiker ließen mich an ihrer Erfahrung teilhaben mit wertvollen Hinweisen. Die Jungen lernten dazu, es wurde immer besser, und so ist es bis heute geblieben.
Schließlich wurde ich vom Kultusministerium gebeten, ein Konzept für die Einbindung von Jugendlichen aus Schulen mit hohem migrantischen Anteil zu erstellen. Meine Vorgabe, die wir bis heute perfekt einhalten konnten, war, nur solche junge Teilnehmer auf der Bühne zu präsentieren, die, vorbereitet durch intensive Workshops, bei ihrem punktuellen Einsatz im Orchester dem professionellen Anspruch der Formation gewachsen wären. Auch dies hat sich bisher nicht geändert.
Nicht zuletzt brachte sich einer der bekanntesten deutschen Rapper ein, Cajus von der Gruppe “Blumentopf“ (mit der inzwischen eine anderweitige Kooperation entstanden war), den ich um einen Text bat.
Die letzte Fassung liegt nun hier in einem vom Bayerischen Rundfunk aufgenommenen Live-Mitschnitt vor dies ist also keine Studio-Aufnahme, sie lebt und atmet.
In Zusammenarbeit mit den beiden Bayerischen Staatsministerien für Unterricht und Kultus sowie Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen wurden kontinuierlich Musik-Workshops für Jugendliche in Haupt- und Realschulen und Gymnasien veranstaltet, um sie für eine Mitwirkung am Projekt „Canto Migrando“ zu befähigen.
Diese Schulen wurden unter anderem auch nach dem Anteil von migrantischen Jugendlichen ausgesucht und weisen teilweise eine Vielfalt von 30 verschiedenen Herkunfts-Nationalitäten auf. Die Vorgabe war, dass nur solche Jugendliche am Konzertereignis teilnehmen können, die bei ihren punktuellen Einsätzen professionelle Bedingungen erfüllen können.
Dies konnte mehrfach bei großen Open-Airs unter Beweis gestellt werden. Auf dieser Live-Aufnahme spielt eine Gruppe von elf Jugendlichen in der Percussion-Section.
Canto Migrando auf dem Odeonsplatz in München: